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7. März 2006
Rothenburg und Ricoeur
texturmutant, 11:28h
Auf Telepolis ist heute eine Untersuchung meines geschätzten Kollegen Stefan Hoeltgen zum Rothenburg-Verbot erschienen. Er vertritt dort die, wie ich meine, starke These, dass das Kino die für uns unfassbare Tat des Kannibalismus in eine sinnstiftende Narration fasst, die uns Hilft das individuelle/kollektive Selbstverständniss von dem Undenkbaren der selbstgewollten Tötung und Verspeisung (nebenbei ein ritueller, also auch kultureller Akt) zu bestimmen, indem die Narration Sinn stiftet, wo vorher keiner war. Dabei ist weder die Qualität des Films entscheidend, noch dessen Übereinstimmung mit der realen Vorlage, sondern, dass hier ein Reflexionsprozess in Gang kommt, den Ricoeur mit dem Begriff der narrativen Identität umfasst. Das Sinnstiften in Erzählung. Unbedingt lesen!
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Kino/Tip(p): Lumières Schleuder
texturmutant, 01:51h
Die Lumiéres gelten allgemein als die Erfinder des Kinos und oft wird "L'arrivée d'un train a la Ciotat" (1895) als deren erster Film gefeiert. Interessant dabei ist, das besagter Film gerade mal 10 Sekunden lang ist und dass die Lumières noch einen weiteren Kurzfilm vor diesem historischen Spektakel veröffentlicht hatten. Nämlich den weniger bekannten "La sortie des usines Lumière" (1895), wie der Direktor des Lumière Institutes Thierry Frémaux glaubhaft versichert.
Bei der heutigen Soirée wurden, begleitet von einem Vortrag Frémauxs eine Auswahl der 40 wichtigsten Fragmente im Traditionskino "Le Champo" vorgestellt, was unter dem Gesichtspunkt der Seltenheit, mit der man in den Genuß eines solchen Spektakels kommt, ein ganz eigene Qualität hatte. Begleitet und kommentiert wurden die Szenen, wie gesagt, von Frémaux, der sich nicht nur als extrem guter Kenner der Geschichte der Lumières auszeichnete, sondern der auch seine Qualitäten als Redner gekonnt unter beweis gestellt hat.
Dieser Blick auf die Kinogeschichte offenbarte aber neben der historischen Draufsicht auch noch einen Einblick, dahin, wie sich das Gedächtnis des Kinos von damal zu heute verändert hat. Die Lumières haben nämlich neben ihren zahlreichen Inszenierungen vornehmlich Zeitgeschichtliches zu dokumentieren versucht, dabei aber unbewußt die Strategien der Industrialisierung dokumentiert. Wenn in "Champs Elysée" beispielsweise ein Mann beinahe von einem der zahlreichen Fuhrwerke überfahren wird deutet sich hier bereits ein Entfremdungsmechanismus an, der sich im maschinellen Tackt der Apparate - einem erotischen Tackt - bereits als Konflikt mit der eigenen Identität herausstellt.
Nachtrag: Ich musss mich mal eben für den respektlosen Titel entschuldigen, aber man hat mir nahegelegt, ich solle etwas interessantere Überschriften gestalten, um im Datenjungle nicht ungehört zu bleiben, da mir sonst nix eingefallen ist (was hoffentlich kein Zeichen meiner unkreativität ist), hab ich den Titel in Anlehnung an die Kinderaufnahmen gewählt, die ebenfalls gezeigt wurden. Eine war dabei, die mich sehr beeindruckt hat: Es war eine Aufnahme, die August Lumière in Indochina gemacht hatte und die zwei Europäerinnen in weißen Kleidern zeigt, die irgendwelche Goodies, die man leider nicht genau erkennt, von einer Schnur abzeihen und einer Horde einheimischer Kinder vorwerfen, die sich wie die Wilden darüber her macht. Die Ganze Szene erinnert aber eher an Entenfüttern. Frémaux meinte dazu, dass solche Bilder aber beim damaligen kolonialistisch geprägten Selbstverständnis keinen Anstoß erregt hatten, sondern eher Neugier auf die Fremdländer....all right.
Bei der heutigen Soirée wurden, begleitet von einem Vortrag Frémauxs eine Auswahl der 40 wichtigsten Fragmente im Traditionskino "Le Champo" vorgestellt, was unter dem Gesichtspunkt der Seltenheit, mit der man in den Genuß eines solchen Spektakels kommt, ein ganz eigene Qualität hatte. Begleitet und kommentiert wurden die Szenen, wie gesagt, von Frémaux, der sich nicht nur als extrem guter Kenner der Geschichte der Lumières auszeichnete, sondern der auch seine Qualitäten als Redner gekonnt unter beweis gestellt hat.
Dieser Blick auf die Kinogeschichte offenbarte aber neben der historischen Draufsicht auch noch einen Einblick, dahin, wie sich das Gedächtnis des Kinos von damal zu heute verändert hat. Die Lumières haben nämlich neben ihren zahlreichen Inszenierungen vornehmlich Zeitgeschichtliches zu dokumentieren versucht, dabei aber unbewußt die Strategien der Industrialisierung dokumentiert. Wenn in "Champs Elysée" beispielsweise ein Mann beinahe von einem der zahlreichen Fuhrwerke überfahren wird deutet sich hier bereits ein Entfremdungsmechanismus an, der sich im maschinellen Tackt der Apparate - einem erotischen Tackt - bereits als Konflikt mit der eigenen Identität herausstellt.
Nachtrag: Ich musss mich mal eben für den respektlosen Titel entschuldigen, aber man hat mir nahegelegt, ich solle etwas interessantere Überschriften gestalten, um im Datenjungle nicht ungehört zu bleiben, da mir sonst nix eingefallen ist (was hoffentlich kein Zeichen meiner unkreativität ist), hab ich den Titel in Anlehnung an die Kinderaufnahmen gewählt, die ebenfalls gezeigt wurden. Eine war dabei, die mich sehr beeindruckt hat: Es war eine Aufnahme, die August Lumière in Indochina gemacht hatte und die zwei Europäerinnen in weißen Kleidern zeigt, die irgendwelche Goodies, die man leider nicht genau erkennt, von einer Schnur abzeihen und einer Horde einheimischer Kinder vorwerfen, die sich wie die Wilden darüber her macht. Die Ganze Szene erinnert aber eher an Entenfüttern. Frémaux meinte dazu, dass solche Bilder aber beim damaligen kolonialistisch geprägten Selbstverständnis keinen Anstoß erregt hatten, sondern eher Neugier auf die Fremdländer....all right.
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