6. Juni 2005
Schreibend geht die Welt zu Grunde
Unser Handeln ist durch unsere Umwelt bestimmt und wir wissen nicht, ob wir jemals anders handeln würden, wenn die Umstände es nur zuließen. Die Umstände machen uns zu ihren Gefangenen und wer nicht auszubrechen vermag, der betäubt sich.

Nicht umsonst klammern sich die Protagonisten in Fassbinders Filmen immer wieder an die buchstäbliche Flasche. In dem er das ewige Thema denkt: der einzelne gegen die Umstände seiner eigenen Unzulänglichkeiten, reflektiert er immer auch über das Verhältnis von Macht und Schwäche. "Der der in einer Beziehung stärker liebt, wird immer der Unterlegene sein, weil der andere dadurch mehr Macht hat." (Fassbinder)

Rainer Werner Fassbinder hat hierfür die sarkastische Metapher des Vogelkäfigs gewählt, der in seinen Filmen immer wieder auftaucht. Die Laute des Vogels, die seine Herren so entzücken sind eigentlich Ausdruck der Qual und des Leidens. Darin liegt die eigentliche Anklage dieses Rätsels.

Doch ist der Käfig auch ein Sinnbild für die Transparenz dieser Grenze, die uns die Gesellschaft - denn diese bestimmt letzten Endes wie weit und wohin jeder Einzelne zu gehen hat- vorgibt. Eine Vermittlung zwischen Drinnen und Draußen findet statt: Der Blick ins Freie schürt das Verlangen nach dem Anderen, nach dem was sich im ständigen Ereignis am Horizont formiert, dabei aber ungreifbar bleibt - die Sehnsucht selbst. Sie ist es die den Schrei aus der Stille heraus befielt. Ein Motiv, das besonders im Nachkriegsdeutschland - das nach Adorno noch immer an den selben Strukturen partizipiert, wie vormals das 3.Reich - eine tiefe Wunde schlägt.

Auf der anderen Seite ist der Blick durch die Gitterstäbe eine Reminiszenz an die Freiheit im inneren des Käfigs. An den Ort, den die Konsumenten dieser Grausigen Darbietung nicht zu hinterfragen, ja nichteinmal zu hintergehen in der Lage sind: "Gauner dieser Welt, es gibt ein Opfer das ihr nicht betrügen könnt." (Burroughs)

Wer sind aber diese Konsumenten und warum bereitet ihnen der Ausdruck der Qual solches Vergnügen? Ihr Blick ist jedenfalls kein analytischer, denn die zwecklosigkeit des Vogelkäfigs wird naiv verdrängt.

Wir genießen die unsagbare Differenz von Anstand und Macht, von Liebe und Tod, von Grauen und Unberührtheit. Wir sind die Urheber dieses Untergangs. Wir sind diese Menschen, die sich selbst zu ihrer eignen Unterhaltung im Käfig betrachten.

Der Käfig ist allgegenwärtig. Es sind die Umstände und der eigene Körper, der so weit mit dem ihn bewohnenden Geist auseinander klafft (vgl. Es ist nicht gut in einem Menschenleib zu leben); eine Differenz bildet, die sich im Spiegel abdrückt: "Die Welt ist das Weltgericht" (Fassbinder)

Die letzte Flucht die hierfür noch bleibt liegt im Verstummen der Seele begründet. Dort wo die Seel schweigt beginnt aber, nach dem französischen Philosophen Jacques Derrida, die Schrift. Im Schreiben liegt eben die Grenzenlosigkeit, die der Blick aus dem inneren des Käfigs so verzweifelt herbei fleht. Fassbinder hatte diesen Umstand für sich erkannt. "Wer Filme machen will", so heißt es in einem Interview, "der macht auch Filme."

Nicht zuletzt darum sollen diese Zeilen eine hommage an den großen Denker und Fimemacher Fassbinder sein, dessem Blick sich die Umstände nicht verschließen konnten.

Der Käfig ist die Freiheit. Nichts kann uns jetzt noch davor bewahren.



texturmutant

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