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21. Juni 2008
Erinnerungen
texturmutant, 00:05h
Es ist schon eine seltsame Sache, dass man sich von Zeit zu Zeit selber dabei beobachten kann, wie man sich auf eine ganz bestimmte Weise verhält. Einflüsterungen aus den dunklen Regionen des Gemüts übernehmen das Kommando und man tut Dinge, die man normalerweise als grenzwertig empfinden würde, gegen die man sich gleichzeitig aber unmöglich zur Wehr setzten kann. Ich für meinen Teil befinde mich gerade, wie der Schlüsselmeister aus einem Giacomo Casanova Kapitel.
Die Geschichte hebt in den Bleikammern von Venedig an, in die der Häretiker und Alchemist Casanova von der Inquisition verbannt worden war. Unser Held ist in der Flucht begriffen; an seiner Seite der Mönch Bruder Gaspal. Die beiden nehmen den gefahrvollen Weg über die Bleidächer des Gefängnispalastes. Immer wieder droht das Unternehmen zu scheitern – sei es, dass der Mönch sein Gepäck verliert und beinahe den Standort der Flüchtigen zu verraten droht, sei es, dass es gefährliche Abhänge zu überwinden gilt, dass unser Held auf der nebelfeuchten Dachschräge auszugleiten droht, oder der riskante Abstieg in ein tiefer gelegenes Stockwerk gewagt werden muss.
In den dunklen Abgründen eben jenes besagten Stockwerks endet die Flucht jedoch abrupt, als nach übermenschlicher Kraftanstrengung (Casanova hat nebenbei noch die last des ungeschickten Mönchs mitzutragen gehabt) eine Eisentüre, das eherne Hymen zwischen Freiheit und Tod, sich den beiden in den Weg stellt. Die Türe lässt sich nicht öffnen. Der Weg ist versperrt.
Wie sich herausstellt befindet man sich in einer Bibliothek oder einem Archiv. Die Wände sind jedenfalls mit Regalen gesäumt, in denen sich eng geschnürte Pakete von Dokumente stapeln (unter anderem eine besonders wertvolle und bisher gänzlich unbekannte Handschrift über sämtliche im Dogenpalast abgehaltenen Feste). Der Mönch beginnt nun, vom vorzeitigen Ende der Flucht überwältigt, mit kriecherischem Gestus auf Casanova einzudringen. Man sei an einen Punkt der Reise gekommen, an dem sich eine weitere Flucht als absolut chancenlos herausgestellt habe. Die Tür sei unter keinen Umständen zu öffnen. Es gäbe keine Möglichkeit unentdeckt aus dieser Misere herauszukommen. Man müsse sich darum mit dem Gedanken abfinden, dass das Vorhaben gescheitert sei und alle Hoffnung auf einen Ausweg fahren lassen. Anstatt noch länger an diesem Ort zu verweilen, würde es von größerer Weisheit zeugen, die Flucht für gescheitert zu erklären und den Weg zurück in die Zellen zu nehmen, bevor die Wachen etwas von ihrer beider Abwesenheit bemerkten. Man entginge auf diese Weise immerhin einer zusätzlichen Bestrafung durch die Inquisition und diese würde ohne Zweifel hart und grausam ausfallen. Er, der Mönch, würde unter der drohenden Folter nicht lange bestehen können und genötigt sein, die Verantwortung für die Flucht ganz und gar dem Herrn Casanova anzurechnen. Er wisse auch jetzt nicht warum er sich überhaupt habe zur Flucht entschließen können und eigentlich sei alles ohnehin den Überredungskünsten Casanovas zuzulasten, dass er, der Mönch, Bruder Gaspal, überhaupt in eine so missliche Lage habe geraten können.
Wer jedoch schon so viele Fährnisse zu überstehen hatte, wie unser Held, der weiß, dass man sich von solchem Pessimismus nicht anstecken lässt. Casanova hat sich schon in zu vielen Unwegsamkeiten befunden, eingekeilt zwischen dem Sprung ins Wasser und dem Tod durch den Degen, als dass er nur für eine Sekunde ans Umkehren denken würde. Wer so viele Stunden in dunklen Kammern ausgeharrt hat, um den argwöhnischen Blicken eifersüchtiger Ehemänner und beleidigter Liebhaber zu entgehen, wer so oft schon um sein Leben bangen und sich den hartnäckigen Verfolgungen durch Mütter, Väter und Onkeln entziehen musste, wer sich aus den unmöglichsten Situationen zu befreien hatte, nur um sich der einzig wahren Leidenschaft, der am Schönen Geschlecht zu überlassen, dessen Erinnerungen ein ganzes Leben füllen sollten, wer dies alles zu überwinden und zu riskieren hatte – die Gefahren durch Polizei und Militär oder gar die Intrigen bei Hofe nicht einmal mitgerechnet – wer dies alles zu bestehen hatte, der verachtet die Gefahr. Das Glück winkt dem Tapferen und spuckt auf den Feigen. Nein. Unser Held ist kein Mann der umkehrt. Der feige Mönch weiß ganz offensichtlich nicht wovon er spricht. Hier gilt es der Gefahr ins Auge zu spucken und standhaft der Dinge zu harren, die da kommen mögen. Freiheit oder der Tod!
Man beschließt also abzuwarten und die Entscheidung über beider Schicksal der Zeit zu überlassen. Als nach ein paar Stunden dann der Morgen grau durch die vergitterten Fenster hereinblickt. Hat Casanova eine Idee. Er entschließt sich zu einer Scharade. Man entledigt sich den von der Strapaze zerfetzten und blutigen Lumpen, die man am Leibe trägt und kleidet sich stattdessen mit dem besten Kostüm, das zur Hand ist. Ein feines Hemd aus erlesenem Altlas, besetzt mit vorzüglicher genueser Spitze, Culotten aus edlem Satinstoff, ein schwarzes Cape dass sich Casanova aus einem Ballen kostbarem Duchesse hatte fertigen lassen – der Stoff war eines der wunderlichen Geschenke des einflussreichen Emirs Hassan-al-Sabbah - und zur Krönung ein eleganter Dreispitz venezianischer Provinienz mit spanischer Goldspitze und weißer Feder auf dem Kopf. Die Haare wurden gerichtet, so gut es eben ging.
Für einen kühlen Herbsttag müsste der feine Anzug etwas Übertriebenes, eher Lächerliches bewirken, aber genau darin sieht Casanova seine Chance. Man werde bei seinem Anblick denken, am Abend zuvor hätte irgendwo ein Ball stattgefunden und der Herr hätte die Nacht an einem unglücklichen Ort verbracht und wäre dabei etwas zerzaus worden. Beim Mönch brauchte man sich darum auch keine Sorgen zu machen. Er sehe ohnehin aus wie ein Bauer. Seine Weste von rotem Flanell und seine Hose von violettem Leder wären ohnedies unversehrt und dieser tölpelhafte Zwirn, würde den gewünschten Eindruck nur zu unterstreichen helfen. Man müsse die allgemeine Verwirrung über diese sonderbare Situation ausnutzen und laut schimpfend über die unmögliche und überdies schändliche Lage in der man sich befinde, aus dem Tür drängen, sobald diese geöffnet würde.
Casanova zeigt sich in seinem Aufzug also an einem der Fenster und just in diesem Moment biegen zwei Wachen aus einem der verwinkelten Hinterhöfe des Dogenpalastes in die Gasse davor ein. Man bemerkt die Gestalt am Fenster und lässt unverzüglich nach dem Schlüsselmeister schicken. Nun erkennt auch unser Held in einem kurzen Augenblick, wie brikär die Situation jetzt auf einmal ist. Vielleicht war es unklug sich dam Fenster zu zeigen? Und für die Dauer eines endlosen Augenblicks kommen Zweifel in ihm auf. Der alte Schlüsselmeister steigt unterdessen sehr beeilt die lang geschwungene Steintreppe hinauf, so gut ihm dies in seiner Verfassung nur möglich ist; - dorthin, wo die Räume des Archivs sich befinden. Schon beim Hinaufsteigen blättert er die zahllosen Schlüssel durch, die auf einen schweren Eisenring aufgereiht sind, wie die verschiedensten Gedanken an ein Schloss.
Die Geschichte hebt in den Bleikammern von Venedig an, in die der Häretiker und Alchemist Casanova von der Inquisition verbannt worden war. Unser Held ist in der Flucht begriffen; an seiner Seite der Mönch Bruder Gaspal. Die beiden nehmen den gefahrvollen Weg über die Bleidächer des Gefängnispalastes. Immer wieder droht das Unternehmen zu scheitern – sei es, dass der Mönch sein Gepäck verliert und beinahe den Standort der Flüchtigen zu verraten droht, sei es, dass es gefährliche Abhänge zu überwinden gilt, dass unser Held auf der nebelfeuchten Dachschräge auszugleiten droht, oder der riskante Abstieg in ein tiefer gelegenes Stockwerk gewagt werden muss.
In den dunklen Abgründen eben jenes besagten Stockwerks endet die Flucht jedoch abrupt, als nach übermenschlicher Kraftanstrengung (Casanova hat nebenbei noch die last des ungeschickten Mönchs mitzutragen gehabt) eine Eisentüre, das eherne Hymen zwischen Freiheit und Tod, sich den beiden in den Weg stellt. Die Türe lässt sich nicht öffnen. Der Weg ist versperrt.
Wie sich herausstellt befindet man sich in einer Bibliothek oder einem Archiv. Die Wände sind jedenfalls mit Regalen gesäumt, in denen sich eng geschnürte Pakete von Dokumente stapeln (unter anderem eine besonders wertvolle und bisher gänzlich unbekannte Handschrift über sämtliche im Dogenpalast abgehaltenen Feste). Der Mönch beginnt nun, vom vorzeitigen Ende der Flucht überwältigt, mit kriecherischem Gestus auf Casanova einzudringen. Man sei an einen Punkt der Reise gekommen, an dem sich eine weitere Flucht als absolut chancenlos herausgestellt habe. Die Tür sei unter keinen Umständen zu öffnen. Es gäbe keine Möglichkeit unentdeckt aus dieser Misere herauszukommen. Man müsse sich darum mit dem Gedanken abfinden, dass das Vorhaben gescheitert sei und alle Hoffnung auf einen Ausweg fahren lassen. Anstatt noch länger an diesem Ort zu verweilen, würde es von größerer Weisheit zeugen, die Flucht für gescheitert zu erklären und den Weg zurück in die Zellen zu nehmen, bevor die Wachen etwas von ihrer beider Abwesenheit bemerkten. Man entginge auf diese Weise immerhin einer zusätzlichen Bestrafung durch die Inquisition und diese würde ohne Zweifel hart und grausam ausfallen. Er, der Mönch, würde unter der drohenden Folter nicht lange bestehen können und genötigt sein, die Verantwortung für die Flucht ganz und gar dem Herrn Casanova anzurechnen. Er wisse auch jetzt nicht warum er sich überhaupt habe zur Flucht entschließen können und eigentlich sei alles ohnehin den Überredungskünsten Casanovas zuzulasten, dass er, der Mönch, Bruder Gaspal, überhaupt in eine so missliche Lage habe geraten können.
Wer jedoch schon so viele Fährnisse zu überstehen hatte, wie unser Held, der weiß, dass man sich von solchem Pessimismus nicht anstecken lässt. Casanova hat sich schon in zu vielen Unwegsamkeiten befunden, eingekeilt zwischen dem Sprung ins Wasser und dem Tod durch den Degen, als dass er nur für eine Sekunde ans Umkehren denken würde. Wer so viele Stunden in dunklen Kammern ausgeharrt hat, um den argwöhnischen Blicken eifersüchtiger Ehemänner und beleidigter Liebhaber zu entgehen, wer so oft schon um sein Leben bangen und sich den hartnäckigen Verfolgungen durch Mütter, Väter und Onkeln entziehen musste, wer sich aus den unmöglichsten Situationen zu befreien hatte, nur um sich der einzig wahren Leidenschaft, der am Schönen Geschlecht zu überlassen, dessen Erinnerungen ein ganzes Leben füllen sollten, wer dies alles zu überwinden und zu riskieren hatte – die Gefahren durch Polizei und Militär oder gar die Intrigen bei Hofe nicht einmal mitgerechnet – wer dies alles zu bestehen hatte, der verachtet die Gefahr. Das Glück winkt dem Tapferen und spuckt auf den Feigen. Nein. Unser Held ist kein Mann der umkehrt. Der feige Mönch weiß ganz offensichtlich nicht wovon er spricht. Hier gilt es der Gefahr ins Auge zu spucken und standhaft der Dinge zu harren, die da kommen mögen. Freiheit oder der Tod!
Man beschließt also abzuwarten und die Entscheidung über beider Schicksal der Zeit zu überlassen. Als nach ein paar Stunden dann der Morgen grau durch die vergitterten Fenster hereinblickt. Hat Casanova eine Idee. Er entschließt sich zu einer Scharade. Man entledigt sich den von der Strapaze zerfetzten und blutigen Lumpen, die man am Leibe trägt und kleidet sich stattdessen mit dem besten Kostüm, das zur Hand ist. Ein feines Hemd aus erlesenem Altlas, besetzt mit vorzüglicher genueser Spitze, Culotten aus edlem Satinstoff, ein schwarzes Cape dass sich Casanova aus einem Ballen kostbarem Duchesse hatte fertigen lassen – der Stoff war eines der wunderlichen Geschenke des einflussreichen Emirs Hassan-al-Sabbah - und zur Krönung ein eleganter Dreispitz venezianischer Provinienz mit spanischer Goldspitze und weißer Feder auf dem Kopf. Die Haare wurden gerichtet, so gut es eben ging.
Für einen kühlen Herbsttag müsste der feine Anzug etwas Übertriebenes, eher Lächerliches bewirken, aber genau darin sieht Casanova seine Chance. Man werde bei seinem Anblick denken, am Abend zuvor hätte irgendwo ein Ball stattgefunden und der Herr hätte die Nacht an einem unglücklichen Ort verbracht und wäre dabei etwas zerzaus worden. Beim Mönch brauchte man sich darum auch keine Sorgen zu machen. Er sehe ohnehin aus wie ein Bauer. Seine Weste von rotem Flanell und seine Hose von violettem Leder wären ohnedies unversehrt und dieser tölpelhafte Zwirn, würde den gewünschten Eindruck nur zu unterstreichen helfen. Man müsse die allgemeine Verwirrung über diese sonderbare Situation ausnutzen und laut schimpfend über die unmögliche und überdies schändliche Lage in der man sich befinde, aus dem Tür drängen, sobald diese geöffnet würde.
Casanova zeigt sich in seinem Aufzug also an einem der Fenster und just in diesem Moment biegen zwei Wachen aus einem der verwinkelten Hinterhöfe des Dogenpalastes in die Gasse davor ein. Man bemerkt die Gestalt am Fenster und lässt unverzüglich nach dem Schlüsselmeister schicken. Nun erkennt auch unser Held in einem kurzen Augenblick, wie brikär die Situation jetzt auf einmal ist. Vielleicht war es unklug sich dam Fenster zu zeigen? Und für die Dauer eines endlosen Augenblicks kommen Zweifel in ihm auf. Der alte Schlüsselmeister steigt unterdessen sehr beeilt die lang geschwungene Steintreppe hinauf, so gut ihm dies in seiner Verfassung nur möglich ist; - dorthin, wo die Räume des Archivs sich befinden. Schon beim Hinaufsteigen blättert er die zahllosen Schlüssel durch, die auf einen schweren Eisenring aufgereiht sind, wie die verschiedensten Gedanken an ein Schloss.
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