23. Juni 2009
Entgleisungsatrappen
Schon Morgens: "Keine Lust aufzustehen." Und keine Schwartau im Haus. Dafür eine nackte Schönheitskönigin, die gestern Nacht noch irgendwie anders aussah. Wahrscheinlich liegts am Mundgeruch. Zähneputzen wäre schön, um das verendende Pelztier im Rachen entgültig herunterzuspühlen. Aber wo ist die Zahnbürste? Ah ja im Bad. Auftehen. Meine Güte. Lieber nochmal die Blauen Flecken begutachten und ein bisschen Löffeln. Aufgebahrt wie unter einem Katafalk, zieh ich die Decke über den Kopf, so dass sie mit den Knien ein Zelt bildet. Schon wach? Vielleicht. Und dann, wie ein garstiger Eisenspecht schlägt der Dampfhammer vor der Haustür seinen perversen Takt an. Ich vergrab mich tief im Kissen, als sei dort ein Ort, wo das Geräusch nicht hin kann.
Worüber hatten wir gester Nacht noch gleich gesprochen? Zukunftsperpektiven und Entgleisungsnotwendigkeiten ins Verhältnis gesetzt. Zugeständnisse und andere Halbheucheleien um die allgemeine Zufriedenheit zu simulieren. Zufriedenheit sieht jedoch anders aus, denke ich mir und ertränke jeden vernünftigen Gedanken im altehrwürdigen Destillat. Noch einen, bitte. Nach einer Reihe wohleingefädelter Ausweichmanöver dann doch wieder im Bett gelandet und jetzt dieser erbärmliche Dampfhammermundgeruch.
Die Arbeit lauert wie ein Meuchelmörder, der gerade im Bergiff ist in einer runtergekommenen Gasse seinem Opfer den Hals abzuschneiden. Liebäugelnd fällt der Blick auf das halbausgetrunkene Rotweinglas. Lieber eine Fahne als ein Stinkemaul. Der erste Schluck schmeckt schal und führt die Erinnerungsfäden von gestern Nacht wieder zusammen. Was für grauenhafte Halbgarheiten. Bloß raus aus dem Bett dorthin, wo die obskure Alltäglichkeit dämmert. Wenigstens eine Atrappe die noch funktioniert.

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