7. Juni 2005
Filmtagebuch: "Oldboy" von Chanwook Park (2003)
Oh Dae-su ist ein Kotzbrocken, Saufbold und Weiberheld. Eines Abends, als er nach einer seiner Eskapaden, seine Tochter aus einer Telephonzelle anrufen will, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren, verschwindet er auf mysteriöse Weise. Er kommt in einem kleinen rot/beige tapezierten Zimmer wieder zu sich, wo er die nächsten 15 Jahre seines Lebens verbringen wird. Durch das Fernsehn erfährt er eines Tages, dass jemand seine Frau ermordet hat und das er selbst als der Verdächtige gilt.

Seine einzige Nahrung sind frittierte Teigtaschen, die ihm seine Wärter jeden Tag zu Essen geben; seine einzige Verbindung zur Aussenwelt ist der Ferseher. Eines Tages beschließt Oh Dae-su zu Trainieren um sich - sollte er jemals seinem Gefängnis entfliehen - an dem zu rächen der ihn in diese Lage gebracht hat. Als er sich plötzlich auf dem Dach eines Hochhauses wiederfindet, nur einige Meter von dem Platz entfernt, an dem er entführt wurde, beginnt die vermeintliche Jagd auf den mysteriösen "Evergreen", der irgendetwas mit der Entführung zu tun hat. Oh dae-su lernt wärend seiner Recherchen die junge Mao kennen und verliebt sich in sie, was ihm später zum verhängnis wird, denn nach und nach kommen Konstellationen zum Vorschein, die die Familiengeschichten von Oh Dae-su und "Evergreen" auf empfindliche weise berühren.

Der Film überzeugt, obwohl er sich mit dem ewigen Thema des asiatischen Films - der Familie - beschäftigt. Gerade weil er diesen Fokus setzt, nimmt es die Konstellation der Familie von einer sehr interessanten Seite in den Blick . (Ich möcht an dieser Stelle nicht zuviel verraten und wer sich den Film noch anschauen möchte sollte hier abbrechen).

Als Oh Dae-su das Geheimnis um Evergreen zu lüften beginnt, eröffnet dieser ihm, dass Oh Dae-sus Freundin Mao in wirklichkeit seine Tochter ist. Daraufhin schneidet er sich die Zunge ab, um niemals wieder von diesem Inzest sprechen zu müssen. Das Abschneiden der Zunge, kann auf der einen Seite natürlich als Demutsgeste gelesen werden.

Auf der anderen Seite liest sich gerade diese Stelle als eine Anspielung auf Derridas Leví-Strauss-Lektüre. Dort wird dem Inzestverbot eine ganz besondere Rolle zugesprochen: Es ist nämlich sowohl in kultureller Form eines Rechtssystems begründet, als auch naturmäßig in Form Biologischer Selection. Das Inzestverbot repräsentiert also beides Natur und Kultur und ist somit ein Beispiel für die Unentscheidbarkeit dieser Dichotomie.

Dass eine Unentscheidbarkeit auf dem Gebiet von Natur und Kultur herrscht, lässt nun weiter schließen, dass eventuell auch andere Strukturen davon betroffen sein könnten, womit man auch schon tiefer in das derrida'sche Projekt vordringt. Derrida gibt weiter zu bedenken, dass diese Unentscheidbarkeit von Dichotomien nicht willkürlich stattfinden, sondern dass sie im Prozess des Aufschreibens, dass immer auch eine Technik des Aufschreibens beinhaltet, verortet sind. Diese Einsicht führt ihn schließlich zu dem Punkt, dass die traditionelle Begründung der Vorherrschaft der Stimme vor der Schrift nicht stattgegeben werden darf, ohne dass "innere Ausland" der Schrift zu berücksichtigen.

Oh Dae-sus "Selbstkastration" symbolisiert diesen Verlust der Stimme im Inzestverbot, die Derrida in seinen Schriften immer wieder thematisiert. Sinnigerweise läuft wärend dieser Aktion immer eine Tonbandaufzeichnung vom Geschlechtsakt des "Paares". Dies ist freilich eine recht theoretisierte Form der Filminterpretation, aber frei nach Benjamin gibt es im Bild immer mehr zu sehen als man sieht.

Old Boy ist auf jeden Fall sehr sehenswert und überzeugt durch einen spannenden, intelligenten Plot, gute Schauspieler und eine exquisite Kameraarbeit. Eine Geschichte über Intrigen, Manipulation und die Möglichkeit eines Neuanfangs. Reinschauen lohnt sich.

texturmutant

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