15. November 2005
Freud und immer wieder Freud
In den "Deckerinnerungen" beschreibt Freud zwei konkurrierende Wirkmechanismen, die an der Einschreibung eines Erliebnisses ins Gedächtnis beteiligt sind. Auf der einen Seite wird die "Wichtigkeit des Erlebnisses zum Motiv [genommen], d.h. das bestimmte Muster und Eindrücke dem Erlebniss verschrieben werden. Auf der anderen Seite regt sich ein grundlegender Widerstand gegen diese bevorzgte Einbettung. Statt sich aufzuheben, bilden die beiden Kräfte einen Kompromiss, was schließlich dazu führt, dass sich die Erinnerungsspur nicht mit dem Inhalt deckt, sondern "in der Assotiation verschoben" ist. (Vgl. Freud: Ges. Werke, Bd.1, Über Deckerinnerungen, S. 536)

Diese Annahme steht gewiss nicht mit dem Konzept der Engramme in einklang, die ja genaues, wenn auch fragmentarisches "Abbilden" des Erlebnisses vorsieht. (Als Ergänzung zur Engrammkonzeption eignet sich - wie früher erwähnt - Daniel Schacter, der dieser Theorie in weiten Teilen folgt und dem Re-Organisieren der einzelnen Engramme zu einer Erinnerung sogar Erlebnischarakter attestiert (vgl. Daniel Schacter: "Wir sind Erinnerung").

Die so ins Gedächtis verschobenen Erinnerungen - besonders solche aus früher Kindheit - sind dann nur noch punktuell, über sog. Deckerinnerungen zugänglich, die meist durch ihren völlig periphären, aber dennoch äußerst detailreichen Inhalt gekennzeichnet sind. Durch deren Analyse wird es dann möglich, die Kompromissbildung nach zu zeichen und so zum eigentlichen Inhalt der Deckerinnerung vorzudringen.

In Übereinstimmung mit Schacter ließe sich aus dieser Schilderung des deklarativen (szenischen) Gedächtnisses folgern, dass die Bildung der Identität eines Subjekts selbst eine Kompromissbildung darstellt, da sie sich eben der Rück-Erinerungen bediehnt, die im Gedächtnis eingeschrieben sind, also auch der Deckerinnerungen, obwohl sie eigentlich auf den latenten Anteil Zugriff zu nehmen wünscht. Oder um es auf eine kurze, wenn auch unspektakuläre Formel zu bringen: Identität ist ein Kompromiss.

Die beiden eingangs beschriebenen Gedächtnismechanismen werden später in Freuds Trieblehre eingebettet. In Jenseits des Lustprinzips entwickelt er das Modell der beiden konkurrierenden Grundtriebe: Lebenstrieb und Todestrieb, wobei er ersterem das Vergegenwärtigen einer hedonistischen Erlebniswelt, zur Kompensation (kindlicher) körperlicher Unlusterfahrung zueignet - nach Lacan die Enttäuschung der Allmachtsphanasien nach der Spiegelphase - , d.h. genauer zur Regulierung einer durch Erinnerung hervorgerufenen Lust (vgl. Phatasie). Dem zweiten die Unterdrückung, Verdängung, Verschiebung , kurz die "psychische Abwehr" des Unangenehmen. Diese Unlusterfahrung erfährt durch die psychische Abwehr eine Umarbeitung, eben die Deckerinnerungen.

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