22. März 2006
Wer Musik kauft schadet sich eventuell selbst
"Wenn die objektive gesellschaftliche Tendenz in diesem Weltalter sich in den subjektiven dunklen Absichten der Generaldirektoren inkarniert, so sind es originär die der mächigsten Sektoren der Idustrie, Stahl, Petroleum, Elektrizität, Chemie. Die Kulturmonopole sind mit ihnen verglichen schwach und abhängig. Sie müssen sich sputen, es den wahren Machthabern recht zu machen, damit ihre Sphäre in der Massengesellschaft, deren spezifischer Warentypus ohnehin noch zuviel mit gemütlichem Liberalismus und jüdischen Intellektuellen zu tun hat, nicht einer Folge von Säuberungsaktionen unterworfen wird."

Mit dieser Stelle in der Dialektik der Aufklärung kommt Adorno der Frage nach, warum sich nach dem zweiten Weltkrieg nicht eine demokratische geführte Kunstproduktion, sondern vielmehr eine Industrie zur massenhaften Kulturgüterproduktion etabliet hatte. Die Angst vor Ohnmächtigkeit. Mit dem Verschwinden der Krise im medialen Weltalter ist jedoch anzunehmen, dass dieser Geltungsanspruch kaum noch von Nöten sein dürfte. Längst hat sich die Kulturindustrie auf eine ihr angemessene Machtposition erhoben, die es ihr erlaubt die Politik selber zu beeinflussen.

Besonders die Interessenvertreter der Musikindustrie (oder euphemistisch gewendet: Lobyisten) hatten bereits Ende letzten Jahres den Vorstoß von Justizministerin Brigitte Zypries erwirkt, den bis dato heftig diskutierten Punkt der Kundendatenweitergabe von Internetprovidern sattzugeben. allerdings war dort eine Klausel vorgesehen, die es ermöglichte in Bagatellfällen die Starfe herabzusetzen und dem Beschuldigten somit die Möglichkeit zur Bewärung zu geben. Wollte die Ministerin damals noch fest an diese Klausel halten, so folgt diesem Versprechungen heute ein nüchternes Erwachen.

Demnach verhält es sich nun so, daß die Rechteinhaber der Unterhaltungsindustrie im Zuge der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und der Richtlinie zur Durchsetzung geistiger Eigentumsverhältnisse, sowohl auf die persönlichen Daten des "Torrentisten" Zugriff haben, als auch der Umstand, daß sie damit in der Lage sind eine zivilrechtliche Klage gegen den vermeindlichen Datensünder einzuleiten. Die Strafen sollen dementsprechend drakonisch ausfallen, denn bereits für das Kopieren von CDs zum Eigengebrauch stehen Haftstrafen von bis zu zwei Jahren aus. Was also von der Kulturindustrie vormals als Mittel zur Konsumentenerfassung diente, wird heute gegen diesen Konsumenten gewendet.
Vorsicht also! Wer heute Musik kauft könnte damit schon morgen den gegen ihn Angestrebten Prozeß mitfinanzieren.
Der Gang zur CD Theke sollte also nochmals überdacht werden, wenn man denn, wie wohl die meisten Europäer, im Besitz illegaler Digital-Kopien ist.

Dabei stellt sich die Frage, ob das Problem gerade dieses Industriezweiges tatsächlich auf das "unmoralische" Downloadverhalten der Konsumenten zurückzuführen ist, oder ob hier nicht die Symptome grundlegender Strukturprobleme zu Tage treten. Man müsst sich angesichts der enormen Zahl an Raubkopierern die Frage gefallen lassen, ob nicht eventuell das eigenen Produktionsverhalten an der Malaise schuld sein könnte. Mit der massenhaften Verbreitung von Musik, für die in nicht wenigen Fällen ein geziehltes Interesse bei einer eigens dafür auserkohrenen Käuferschichte geweckt werden musste (siehe das Phänomen der Teeniebands), geht auch eine Entwertung des Materials einher. "Den Konsumenten ist nichts mehr teuer", heißt es bei Adorno, "Dabei ahnen sie doch, daß ihnen um so weniger geschenkt wird, je weniger es kostet."

Darin liegt die Grundlegende Fatalität der Massenproduktion überhaupt: sie Tendiert zur Fettleibigkeit und folgt der "Strategie des Dicken", die sich nach Baudrillard einzig mit ihrer extatischen Ausdehnung im Raum befasst. Je dicker aber der Leib, desto größer wird das Misstrauen gegen die Macht der Ausdehnung insgesammt. Daß also immer mehr Menschen ihre Musik kostenlos aus dem Internet beziehen, heißt letztlich nichts anderes, als daß sie damit einem Grundlegenden Vorbehalt gegen einen Idustriezweig Ausdruck verleihen, der sich gerade in den letzten Jahren mit geradezu orgiastischer Wut auf das Produzieren von billigem Schrott zur schnellen Vermarktbarkeit konzentriert hat. Daß Fressen um des Fressens willen, löst die Fetischisierung der Ware ab und wird selbst zum Fetisch.

Die traurige Ironie bei diesem Spektakel ist nur, daß diese normal gewordene Monstrosität ihre Kundschaft nicht mehr durch eine manipulative Strategie, sondern durch die Ausübung von Zwang und der potenziellen Kriminalisierung des Bürgers dazu bringen will den Leib weiter zu speisen. Ähnlich wie der Dealer, der sich zuvor noch freundlich gab, um seine abhängige Klientel dann aufs erbärmlichste zu erniedriegen. Daß diese Maßnahme dann auch noch als rechtmäßiges Vorgehen propagiert wird gebärdet sich fast wie der Ladenbesitzer, der zu seinen Waren gleich noch deren Verwendungszweck mit vermarktet.

Hier wäre nun tatsächlich der Käufer gefordert,der sich eine solche Behandlung nicht bieten zu lassen braucht. Politik mit dem Einkaufskorb zu machen, kann auch bedeuten sich einem Produkt zu verweigern, in diesem Fall eben der nächsen CD. Dies hätte massenhaft angewandt zum einen den Charakter einer Kritik ausgehend von einer "Kritischen Masse", zum anderen würde sich die Musikindustrie eventuell wieder gesundfasten. Anyway. Ich möchte keine Prognose stellen, doch glaube ich, dass man die Sache bei uns einfach mal wieder aussitzen wird und letztlich der Kunde eben nicht König sondern Kötel ist.

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